Vier pandemische Gamechanger, auf die wir ohne Not verzichten

Als Wort des Jahres nominiere ich “pandemischer Gamechanger”. Es klingt so kosmisch universell wie “pangalaktischer Höllensprudler”, so wuchtig wie “epischer Techno” und so dynamisch und optimistisch wie “virales Marketing“. Dieser Begriff wird noch Karriere machen, wenn nicht im Business-Denglisch dann in der Musikindustrie: “Christian Drosten und die pandemischen Gamechanger” wären ein würdiger Nachfolger für Guildo Horn und die orthopädischen Strümpfe.

Viele Dinge haben den Titel schon abgestaubt, und fast alle haben uns bisher enttäuscht. Erstaunlicherweise gibt es aber noch einige Kandidaten, über die wir bisher selten sprechen, die aber vielleicht gerade jetzt den Unterschied machen könnten.

Massentests

Die Idee ist einfach: wir betrachten uns alle als infiziert, gehen eine Woche in Quarantäne und beenden sie mit einem Test. Man kann auch sagen: eine Woche wirklich harter Lockdown plus Test. Diese Aktion sollte die Inzidenz sofort deutlich drücken. Um einen Faktor 3, wenn man Schnelltests mit 70% Zuverlässigkeit annimmt. Womöglich aber auch noch mehr, weil die Wirkung der Quarantäne dazukommt. Schaltet man einen Pooling-PCR-Test nach, könnte sogar ein Faktor 100 oder mehr möglich sein. Schon die Schnelltest-Variante kauft uns also etwa einen Monat Zeit, in der man viel impfen, viele Tests kaufen und viele andere Vorkehrungen treffen kann. Die PCR-Variante wäre womöglich ein Reset, der mit etwas Vorsicht danach für den ganzen Winter reicht.
Das Beste daran ist, dass es kein reines Gedankenspiel ist. In China hat man es mit der Strategie mehrfach geschafft, selbst Delta-Ausbrüche komplett einzufangen und zu Null Inzidenz zurückzukehren. Statt in einen nur gerade so ausreichenden Dauer-Lockdown zu gehen, könnten wir der Idee eine Chance geben.

Die Impfung anpassen

Wir impfen immer noch gegen ein Virus, das vor fast zwei Jahren ausgestorben ist. Warum man das so macht, wurde leider nie ausführlich begründet, selbst die Zeitschrift Nature begnügte sich jüngst mit der schulterzuckenden Aussage, dass ein Update eben nicht nötig sei. Obwohl die aktuellen Impfungen gegen Delta halbwegs gut funktionieren, ist allerdings eine längere Überlastung der Krankenhäuser selbst bei einer voll geimpften Bevölkerung noch wahrscheinlich. Eine bessere Impfung wäre also immer noch viel wert. Auch könnte es eine wirksamere Impfung ermöglichen, Gruppen mit hohem Impfrisiko wie Jugendlichen oder ME/CFS-Patienten eine riskante Zweitimpfung zu ersparen.

Nasensprays

So verrückt es klingt: Nasenspray aus Rotalgen bietet 80% Schutz vor einer symptomatischen COVID-Infektion. Das sagt nicht irgendein Anthroposoph, sondern eine klinische Studie aus Argentinien. Leider gibt es einen Haken: ihre Unsicherheit ist sehr groß, von 23-95% ist alles drin. Dass es aber gar nichts bringt, ist so gut wie ausgeschlossen. Wenn wir schon nicht auf maskenfreie 2G-Großveranstaltungen verzichten können, könnte man damit wenigstens den Schaden begrenzen. Auch das muss gesagt sein: ein Ersatz für eine Impfung ist es natürlich auf keinen Fall.

Mehr impfen

Das ist zugegeben so ein Allgemeinplatz, dass man es nicht mehr hören kann. Dadurch ist es aber nicht falsch. Leider war die bisherige Strategie – Bedenken zu diskreditieren und Skeptiker zu beschimpfen – nicht sehr zielführend. Wir sollten eine andere ausprobieren.

Warum nicht zum Beispiel die chinesischen Totimpfstoffe zulassen? Wenn es auf offiziellem Weg nicht geht, eben als veganen Badezusatz zur Verwendung auf eigene Gefahr.

Sie sind zugegebenermaßen nicht umwerfend, mit etwa 70%/85%/90% Schutz gegen Infektion/schweren Verlauf/Tod bei einer Nicht-Delta-Infektion. Das ist aber immerhin etwa so gut wie Johnson, das ebenfalls noch fleißig verimpft wird.

Glaubt man Umfragen, sind Bedenken gegen mRNA-Impfstoffe ein Hauptgrund für Impfskepsis. Was auch bedeutet: mit diesem Schritt hätten wir quasi über Nacht eine deutlich höhere Impfquote. Es hätte auch einen psychologischen Vorteil: die Skeptiker könnten vorerst mit einem gefühlten Sieg vom Platz gehen und ihr Gesicht wahren – und sicherlich würde sich ein großer Teil langfristig doch noch für ein Upgrade auf Biontech entscheiden. Ein Risiko der Option ist freilich, dass die Studienlage zu diesen Produkten etwas mager ist und erst ein Praxistest ihre wirkliche Qualität zeigt. Dass es ein Versuch ist, muss also dazugesagt werden, um Enttäuschungen zu vermeiden. Dann könnte es ihn aber wert sein.